Auszüge aus dem Buch von K. P. Leitner

Vorbemerkung

Wie in "Dank + Quellennachweise" ausgeführt, habe ich von Klaus-Peter Leitner die Genehmigung bekommen, aus seinem Buch über Hans Grischkat zu zitieren. Dies sehr lesenswerte Buch (Dissertation 1996, stark erweiterte Buch-Version 2000) beschreibt den Werdegang Grischkats auf ca. 400 Seiten, ist sehr sorgfältig recherchiert und birgt eine Menge von interessanten Informationen zur Geschichte der Interpretation und Rezeption in Württemberg ab der Zeit der Jugendmusikbewegung der 20er Jahre, die "Entdeckung" und systematische Aufführung Bachscher Vokalwerke und von sehr viel anderer Literatur durch die verschiedenen Singkreise und Orchester.
Leitners Buch ist heute (2009) noch erhältlich.

Das erste Konzert in Göppingen (09.03.1924)

Es ist Sonntagabend in einer kleinen Stadt im Schwäbischen. Ein Chor aus ungeschulten Stimmen, in dem sich junge Menschen zusammengefunden haben, um ihrer Überzeugung gemeinsam durch Singen Ausdruck zu verleihen, präsentiert einer staunenden Gemeinde in der Göppinger Stadtkirche vier geistliche Kantaten Johann Sebastian Bachs. Es erklingen O Ewigkeit, du Donnerwort (BWV 60), Komm, du süße Todesstunde (BWV 161), Schlage doch, gewünschte Stunde (BWV 53)* und der sogenannte Actus tragicus , die Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (BWV 106) in der angegebenen Reihenfolge.

Die Ausführung ist geprägt durch das Engagement der Sängerinnen und Sänger, das technische Mängel in den Hintergrund treten lässt. Doch auch in der dargebotenen Qualität hinterlässt dieses Konzert, überschrieben als Abendmusik des Bundes der Köngener , beim Publikum einen tiefen Eindruck. Denn es stellt in seiner Erscheinung einen bisher einzigartigen Versuch im Raum Schwaben dar.

Das Konzert in der Göppinger Stadtkirche - heute wäre das ein kaum Aufsehen erregendes Ereignis, das wohl nur geringen Niederschlag in der Presse und beim Publikum finden würde, da es zur Normalität einer jeden Kirchenmusik gehört, Bach-Kantaten aufzuführen - fand am 9. März 1924 statt, Dirigent war der noch nicht ganz 20jährige Hans Grischkat. Damit gelang ihm ein erster Versuch auf dem Gebiet der Wiederentdeckung und -aufführung alter Musik. Und die Zeitgenossen wussten dieses Ereignis dem außergewöhnlichen Anspruch gemäß zu würdigen. Aus heutiger Sicht rückblickend erstaunt allerdings, dass sich ein ungeschulter Ad-hoc-Chor zu solch einem Projekt bereit fand, dieses realisierte und damit auch noch Erfolg hatte. Doch scheint ein solches Vorgehen in dieser Zeit nicht singulär gewesen zu sein. In einem Umfeld allgemeinen Strebens nach neuen Ideen konnten Pläne wie dieser mit der entsprechenden Einstellung erfolgreich verwirklicht werden.

* Anmerkung zu BWV 53:
Der Nachweis der Unechtheit dieser Kantate BWV 53 Schlage doch, gewünschte Stunde wurde erst 1951 geführt. Vgl. Alfred Dürr, Studien über die frühen Kantaten Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1951, S. 48.

[Leitner S. 48]

Erste Aufführung der Matthäus-Passion (29.03.1929)

Leidtragender dieser Entwicklung war der Tübinger Ableger des Reutlinger Singkreises, den Hans Grischkat zur Verstärkung der Johannes-Passion 1925 gegründet hatte. Grischkat versuchte auf Drängen der Mitglieder, die weitersingen wollten, zwar noch, einen Ersatz für sich zu finden, der die Leitung dieses Chores hätte übernehmen können, doch der Chor, dem etwa 30 Frauenstimmen angehörten, musste aufgelöst werden. Somit hatte Hans Grischkat seine ganze musikalische Aktivität nach Reutlingen verlegt. Doch bedeutete Musik für Hans Grischkat stets auch eine besondere Art von Gottesdienst. Deshalb bemühte er sich so sehr um die Aufführung der Matthäus-Passion, die weit vor anderen Werken von ihm in seinem Leben am häufigsten aufgeführt werden sollte. Innerhalb von fünf Monaten hatte er sich mit dem Chor die Johannes-Passion erarbeitet. Nach deren Aufführung 1926 stand der Wiedergabe der Matthäus-Passion also nichts mehr im Wege. Doch die Erstaufführung durch Hans Grischkat konnte eigentlich nur in einem ganz bestimmten Jahr erfolgen. 1729 war diese große Passion von Johann Sebastian Bach aufgeführt worden, 1829 erfolgte die Wiederentdeckung durch Felix Mendelssohn Bartholdy, 1929, genau 200 Jahre nach ihrer Schöpfung, sollte die Matthäus-Passion in Reutlingen erklingen, dirigiert von Hans Grischkat. Der Plan war gefasst und die Umsetzung konnte, da genügend Zeit zur Vorbereitung gegeben war, geordnet vor sich gehen. Gelegenheit zum Studium und der gründlichen Erarbeitung des Werkes war für den Chor durch eine Aufführung der Matthäus-Passion unter UMD Karl Hasse am 24. Februar 1928 in Tübingen gegeben. Als Chöre wirkten dort der Akademische Musikverein, die Musikverbindung Stochdorphia, die Sängerschaft Zollern, der Chor des Reutlinger Jugendrings und der Knabenchor des Gymnasiums und der Oberrealschule mit; Grischkat selbst spielte Cembalo.

Groß angekündigt und von Grischkat mit einer Pressekampagne begleitet, in der die Umstände der Geschichte der Matthäus-Passion näher erläutert wurden, fand die Aufführung am Karfreitag, dem 29. März 1929 in der Marienkirche statt. Es war das größte Unternehmen Grischkats in dieser Zeit, verbunden mit enormen finanziellen Anstrengungen. Vorangegangen war eine Werbekampagne, wie sie erstmalig in Grischkats Wirken war. Bereits am 16. Oktober 1928 erscheint, von Grischkat geschrieben, ein Vorbericht in der Schwarzwälder Kreiszeitung und im Reutlinger General-Anzeiger, in dem er zum Mitsingen einlädt. Am 11. März (auf den Tag genau 100 Jahre nach der Wiederaufführung der Matthäus-Passion durch Felix Mendelssohn Bartholdy in Berlin) erschien der erste Teil eines dreiteiligen Berichts zur Aufführung der Matthäus-Passion 1829, den Grischkat den dramatisierenden, dadurch aber sehr lebendigen Erinnerungen des Mendelssohn-Freundes Eduard Devrients entnommen hatte, die weiteren Teile am 13. und 15. März. Annoncen wurden geschaltet, weitere Vorberichte und ein Einführungsabend am 20. März im Volksbildungshaus ergänzten die Vorbereitungen. Die Kampagne hatte Erfolg; inklusive der Hauptprobe am 27. März erlebten 3.059 Menschen die Aufführung. Auch finanziell zahlte sich dieses Unternehmen im Gegensatz zur Johannes-Passion von 1926 aus. Die Einnahmen betrugen 5.899,41 RM, die Ausgaben 6.026,50 RM, so dass lediglich ein Defizit von 127,09 RM die Singkreis-Kasse belastete. Der Chor des Reutlinger Jugendrings, der Knabenchor der Knabenvolksschulen, die Reutlinger Stadtkapelle, verstärkt durch Mitglieder der Tübinger Reichswehrkapelle und Prof. Dr. Hermann Keller an der Orgel, der bereits im Vorfeld mit Rat zur Verfügung stand sorgten für eine gelungene Reutlinger Premiere.

[Leitner S. 88/89]
==> Faksimile Programmzettel

Arbeitswoche August 1934 - Hilde Martin

Zur Arbeitswoche vom 4. bis 12. August 1934 in Eckwälden reiste Grischkat also mit Chor und Orchester an, wobei der Chor in der Besetzung 14/14/8/8 antrat und das Orchester 11 Violinen, 2 Violen, 4 Celli und 2 Flöten umfasste. Erarbeitet wurden die Bach-Kantaten Nr. 44 Sie werden euch in den Bann tun , 103 Ihr werdet weinen und heulen , 181 Leichtgesinnte Flattergeister , 16 Herr Gott, dich loben wir und 201 Geschwinde, geschwinde, ihr wirbelnden Winde . Geleitet wurde das Orchester auf der Arbeitswoche meist von Grischkat. Zwei Jahre später, zur Arbeitswoche 1936 hatte sich das Orchester in seiner Besetzung kaum geändert, lediglich die Orgel trat als obligates Instrument hinzu. Zu Anfang spielte Hermann Keller die Orgel bei den Aufführungen des Schwäbischen Singkreises. Aus Zeitmangel musste er diesen Dienst jedoch beenden und so wurde in den Jahren bis zum II. Weltkrieg Hilde Martin ständige Organistin des Singkreises, da sich gezeigt hatte, dass der Chor mit den jeweiligen Lokalgrößen nicht zusammenarbeiten konnte. Über Hermann Achenbach war Hans Grischkat mit Hilde Martin bekannt geworden, die wiederum eine Bekannte von Albert Schweitzer war, den Grischkat als Bach-Experten verehrte und dessen Bach-Buch er in der Auflage von 1922 in seiner Bibliothek stehen hatte.

[Leitner S. 152]

Beginn in Stuttgart 1937

Der Umzug von Reutlingen nach Stuttgart war für Grischkat nicht nur eine Abkehr von der Stadt, die ihm die Gefolgschaft verweigerte, er fand in Stuttgart jetzt, mit gut 33 Jahren, seine erste feste Anstellung als Musiker. Von Reutlingen aus hatte er das Feld sondiert und die Erlöserkirche gefunden, die zur Zeit eine vakante Organistenstelle hatte. Am 1. April 1937 trat er diese Stelle an, wenig später übernahm Grischkat noch die dortige Chorleiterstelle, die er auch noch nach dem Krieg bis etwa Mitte des Jahres 1946 inne hatte. Der Umzug erfolgte im Vorfeld. Im März verließ Hans Grischkat mit seiner Familie, die inzwischen auf vier Personen angewachsen war (Sohn Wolfram war 1935 geboren worden) Reutlingen und zog am 9. März 1937 in die Wohnung Schloßstraße 45 in Stuttgart ein. Es wurde für ihn eine Zeit der musikalischen Reife, in der sich sein Musikverständnis festigte und die Konzerte sich durch grundlegend neue Interpretationsansätze auszeichneten.

Doch war dieser Kontakt mit Stuttgart nicht der erste, den Grischkat auf musikalischem Gebiet hatte. Als Student war er bereits in die Kreise der Landeshauptstadt eingedrungen, mit dem Schwäbischen Singkreis hatte er mehrere Einladungen zu Auftritten von seinem Lehrer Hermann Keller erhalten, der sich um die Belange Grischkats kümmerte und an seinem Weiterkommen starkes Interesse zeigte. Alleingelassen war Grischkat in Stuttgart nicht. Einige alte Bekannte fanden sich hier wieder zusammen. Rudolf Daur hatte im September 1939 die Stelle als erster Pfarrer an der Markuskirche angenommen. Dort, in der großen Kirche mit ihren vielfältigen Möglichkeiten, manifestierte sich das Zentrum Grischkatscher Musikausübung in Stuttgart; in derselben Kirche, in der Hermann Keller seit 1916 als Organist wirkte. In der Zwischenzeit war Grischkat zu einer bekannten Größe in der Musikwelt geworden.

[Leitner S. 170]

Bachverein Stuttgart · Graz

Der Schwäbische Singkreis hatte schon vor 1937 des öfteren in Stuttgart Konzerte gegeben. Durch sein Amt als Orgelspieler im Schwäbischen holte Hermann Keller diesen Chor, um in der Landeshauptstadt zu dokumentieren, welche Qualität Grischkats Aufführungen tatsächlich haben. Gleichzeitig bot er Grischkat damit auch eine Gelegenheit, sich den musikinteressierten Kreisen Stuttgarts vorzustellen. Beinahe selbstverständlich kam es somit auch zur Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Bachverein, dessen Vorsitzender Hermann Keller war. Am 10. und 11. März 1934 wirkte der Schwäbische Singkreis bei Veranstaltungen des Württembergischen Bachvereins im Rahmen eines Bachfestes aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Württembergischen Bachvereins in Stuttgart mit. Das Bachfest in Reutlingen 1935 wurde auch mit Unterstützung des Vereins durchgeführt.

Höhepunkt und Abschluss der Musikarbeit vor dem Kriege aber war die Fahrt zu dem vom 24. bis 28. Juni 1939 in Graz durchgeführten Fest der deutschen Chormusik . Die Chöre Süddeutschlands, die sich durch ihre Qualität hervorgetan hatten, waren gut vertreten. Neben den Singkreisen von Hans Grischkat war auch der Stuttgarter Singkreis mit Gustav Wirsching präsent, für den sich die Österreicher begeistern konnten, da er noch um Mitternacht das Volk auf dem Marktplatz singen und schunkeln liess. Für einen musikalischen Höhepunkt sorgte der Hochschul-Chor Stuttgarts mit seinem Dirigenten Hugo Distler. Dieser Chor stellte in einer Uraufführung Distlers Mörike-Chorliederbuch vor, das Grischkat dort kennenlernte, um viele Sätze daraus nach dem Kriege in seine a-cappella-Programme einzubauen. Hans Grischkat selbst konnte jedoch auch mit einer markanten Aufführung glänzen. Er führte die Bauernhochzeit von Cesar Bresgen auf, es war die Erstaufführung durch die drei Grischkat-Singkreise, begleitet vom Orchester des Grischkat-Singkreises.

[Leitner S. 176]

Als Professor an der Hochschule Stuttgart

Zur selben Zeit etwa, als Grischkat sich in Reutlingen mit dem Schwäbischen Symphonie-Orchester eine neue Existenz nach dem Krieg aufbaute, kam auch Hermann Keller, Rektor der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, auf ihn, seinen alten Schüler und Freund, zu, um Grischkat eine Stelle als Dozent an der Hochschule anzubieten. 1945 wurde Hermann Keller mit der Aufgabe betraut, die Musikhochschule wieder aufzubauen. Nach Rücksprache mit Keller bewarb sich Grischkat am 7. April 1946 als Leiter des Chores und als Lehrer der Chordirigentenklasse. Mitte Mai berichtete er dann in einem Brief, dass er seit 2 Wochen an der Hochschule angestellt sei, die Einstellung erfolgte also zum 1. Mai 1946. Die Entscheidung, an die Hochschule zu gehen, diskutierte Grischkat wahrscheinlich mit guten Freunden durch. Im Privatnachlass ist ein Brief von Cesar Bresgen an Grischkat enthalten, in dem er Grischkat erzählt, wie er, Bresgen, sich an einem Punkt auch für das Privatleben oder die Arbeit mit der Jugendmusik entscheiden musste. Er rät Grischkat zum Privatleben, jetzt sei die Zeit, in der sich Grischkat entscheiden müsse. Zu den Aufgaben zählte in der Abteilung Schulmusik die Chorerziehung und das Dirigieren, wobei das Chorsingen als Pflichtfach eher unbeliebt war. Auch wurde Grischkat als Gutachter für Zulassungsarbeiten und bei Fragen über Johann Sebastian Bach und die Jugendmusikbewegung hinzugezogen.

Neben der Chorarbeit hatte Grischkat in der Anfangszeit auch das Orchester unter sich. Doch in seiner Orchesterarbeit sah Grischkat sich häufiger Kritik ausgesetzt. So riet ihm Keller, seine Kräfte zu sparen und nur das zu machen, was er wirklich könne. In diesem Zusammenhang fragte Keller nach zwei Jahren der Auseinandersetzung über Fragen der Orchestertätigkeit bei Grischkat an, ob das Hochschul-Orchester einen neuen Leiter bekommen sollte. Kurze Zeit später reflektierte Grischkat sein Arbeitspensum und kam auf folgende Zeiten: 2 Stunden Kantorei, 1 Stunde Gesamtklassenunterricht, 2 X 1 1/2 Stunden Fortgeschrittene, 3 x 1 Stunde Anfänger, 2 Stunden Chor in der Woche, dazu die anderen Verpflichtungen in Reutlingen und die Leitung seiner Chöre. Zudem kam die Firma Bosch mit der Bitte auf ihn zu, die Werksmusik wieder zu übernehmen. Daher war es fraglich, wie weit Grischkats Arbeit an der Hochschule etwas Dauerhaftes sei. Einen weiteren Vorstoß, das Hochschul-Orchester zu behalten, machte Grischkat dann ein halbes Jahr später. Da Münchinger das Orchester auch bei Chorwerken einstudiere, wolle Grischkat das Orchester ebenfalls unter sich haben. Ein offenes Wort in dieser Zeit zwischen Keller und Grischkat führte eine Klärung herbei, Grischkat signalisierte Keller sein Interesse, sich längerfristig an die Hochschule zu binden, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass er die Chorarbeit auf längere Sicht unter sich habe. Sollte geplant sein, dass er in den nächsten Jahren durch einen Besseren ersetzt werde, kehre Grischkat der Hochschule gleich den Rücken. Wohl auf eine mündliche Zusage Kellers hin, blieb Grischkat der Hochschule in Stuttgart erhalten, konnte seine Position hier sogar noch festigen, so dass er einem an ihn herangetragenen Ruf nach Freiburg Ende des Jahres 1950 eine Absage erteilte und seinen Status an der Hochschule in Stuttgart als geschützt bezeichnete. Die im selben Brief angestellte Überlegung, ob es nicht doch besser gewesen wäre, nach Freiburg zu gehen, liest sich allerdings nicht wie eine Artigkeit, sondern hat ernsteren Charakter. Seinen geschützten Status bezog Grischkat wohl aus der Tatsache, dass er am 12. September 1950 (anlässlich des Bachfestes 1950 in Stuttgart mit der Uraufführung der Kantate Vom Reiche Gottes ) vom württembergischen Kultusminister zum Professor ernannt wurde. Wohl im Umfeld dieser Ernennung entdeckte die Verwaltung, dass Grischkat den Diensteid auf die Verfassung Württemberg-Badens von 1946 noch nicht geleistet hatte. Ein von Grischkat Anfang 1959 gestellter Antrag auf Verbeamtung wurde von der Hochschule allerdings abgelehnt. Er blieb Angestellter und als solcher Vertrauensmann der angestellten Lehrkräfte der Hochschule.

Die Festigung seiner Position in Stuttgart und die Abgabe des Chefdirigats des Schwäbischen Symphonie-Orchesters Reutlingen führten zu einem erneuten Umzug nach Stuttgart. Die Wohnung in Reutlingen, Hagstraße 2, wurde zum 30. Juni 1952 gekündigt, doch verzögerte sich der Umzug etwas. Ab 1. Oktober 1952 hatte Grischkat das Haus Am Kriegsbergturm 52 gemietet, am 4. Oktober zog er mit seiner Familie dort ein. Zuvor hatte er, um von Reutlingen nach Stuttgart zu kommen, in den ersten zwei Jahren ein Fahrrad benutzt, das er von der Stadt Reutlingen als Dienstrad bekommen hatte (die Bahnverbindung war zwischen den beiden Zonen unterbrochen und wurde erst nach und nach wieder aufgenommen). Den ersten PKW nach dem Krieg leistete sich Grischkat dann 1950, zugelassen im Mai, seinen zweiten dann bereits ein Jahr später, am 10. Mai 1951. Vor dem Krieg hatte Grischkat bereits seit 1938 einen eigenen Wagen besessen. Wie dringend er ihn benötigte zeigt das hohe Fahrtaufkommen.

Die beiden Bach-Enthusiasten Hermann Keller und Hans Grischkat konnten ganze Studenten-Generationen beeinflussen. Eine große Zahl von Schülern Grischkats konnte sich profilieren und - jeder auf seine Weise - seinen musikalischen Ansatz in verschiedenen Bereichen umsetzen. Grischkat selbst konnte in seine Lehrtätigkeit einiges von den Ideen der Jugendmusikbewegung einfließen lassen, und er rekrutierte immer wieder junge Musikerinnen und Musiker für den Schwäbischen Singkreis und diverse Orchester. Bis zu seiner Pensionierung 1968 wurde Grischkat gar nicht von den Studentenunruhen betroffen. In seinem Schaffen ist keine Zäsur zu verzeichnen, die sich darauf zurückführen lassen könnte. Lediglich einige Jahre später - Grischkat arbeitete noch bis Juni 1976 zeitweise an der Hochschule - traf ihn eine direkte Kritik. Die Vollversammlung des AStA beschloss am 16. Juni 1971, das Prüfungsfach Volkslied, bzw. Volksliedkunde zu boykottieren. Im Aufruf heißt es:

Das Volkslied, das Lebenssinn und Bindung an die Gemeinschaft stiften soll, baut eine Scheinwelt auf, die die Wirklichkeit harmonisiert anstatt sie zu analysieren. Die Kritik am Fach, die Gemeinschaftsideologie, das mit Nationalismus befrachtete Kulturgut, diese Kritik, die von fast allen Kräften hier geäußert wurde, ist bis jetzt noch ohne Konsequenzen geblieben. Die Volksliedkunde, deren ideologischer Charakter seit der Jugendmusikbewegung jedermann offenkundig ist, wird als erstrebenswerter Bildungsinhalt hier im Hause weiterhin am Leben erhalten.
Kommilitonen, wenden wir uns endlich gegen die unreflektierte Aufrechterhaltung dieser überlebten Praxis! [...] Boykottieren wir das Prüfungsfach Volksliedkunde. Handeln wir gemeinsam und solidarisch, damit die Verweigerung dieser anachronistischen Prüfungsinhalte nicht auf dem Rücken einzelner ausgetragen wird!

Profilieren konnte sich Hans Grischkat in der Hochschule durch seine Arbeit mit dem Hochschul-Chor. Neben dem Orchester, das er leitete, galt sein Hauptinteresse diesem Chor mit 250 Stimmen, der in einen großen Chor und den Hochschul-Kammerchor aufgeteilt wurde. Erster Probenraum für den Chor war der Raum unter der Orgel in der Markuskirche in Stuttgart, an der Hermann Keller Organist und Rudolf Daur Pfarrer war. Nach einem kurzen Auftritt mit Vincent Lübecks Kantate Hilf deinem Volk am 25. Juli 1946 im Rahmen einer Abendmusik in der Markuskirche folgte die Aufführung des Tedeum von Anton Bruckner anlässlich einer Festwoche zu dessen 50. Todesjahr am 6. Oktober 1946.

[Leitner S. 238 - 241 zahlreiche Anmerkungen]

==> s.o. Briefe Hermann Keller / Hans Grischkat 1944 - 1967

Musikstadt Stuttgart - Die Feste

Nachdem Grischkat bereits mehrere lokale Bachfeste veranstaltet hatte, konnte er diese Bemühungen mit der Organisation und Durchführung des 35. deutschen Bachfestes der Neuen Bachgesellschaft vom 26. Juni bis 1. Juli 1958 in Stuttgart zum Abschluss bringen. Gemeinsam mit Hans-Arnold Metzger und Hermann Keller bildete er den vorbereitenden Ausschuss und erreichte, dass dieses Bachfest, nach dem 14. Bachfest von 1924 das zweite in Stuttgart, von der Singbewegung und Grischkat geprägt war. Die organisatorische Durchführung hatte die Südwestdeutsche Konzertdirektion Erwin Russ in Stuttgart, mit der Grischkat gelegentlich Kontakt hatte, wenn es um die Verpflichtung von Solisten ging. Zu Erwin Russ selbst hatte Grischkat ein freundschaftliches Verhältnis.

[ ==> Briefe und Dokumente 1957 - 1967]

Ziel dieses Bachfestes [1958] war es, in insgesamt 26 musikalischen und theoretischen Veranstaltungen neben dem Hauptwerk, der h-Moll-Messe, seltener gehörte Instrumentalmusik Bachs und seine Beziehung zum Schaffen der Gegenwart anhand der Kompositionen von Johann Nepomuk David und Igor Strawinsky aufzuzeigen, wobei die moderne Musik in Stuttgart kaum Zulauf hatte; bei einem Chorkonzert mit Werken von Johann Nepomuk David am 30. Juni war der Beethovensaal der Liederhalle trotz Stopfens mit Freikarten nur zur Hälfte besetzt. Die Festpredigt in der Markuskirche (es fanden am Sonntag, 29. Juni 1958 noch drei weitere Festgottesdienste in Stuttgarter Kirchen statt) hielt Rudolf Daur. Eine Ausstellung von originalen Bach-Handschriften (darunter die h-Moll-Messe und die Matthäus-Passion) begleitete das Bachfest. Der Versicherungswert der 24 Exponate betrug DM 1.046.000,-. Im Vorfeld musste jedoch erst einmal abgeklärt werden, ob das Bachfest überhaupt 1958 in Stuttgart stattfinden konnte oder nicht auf 1959 verschoben werden müsse, da fraglich war, ob die Orgel der im Krieg zerstörten Stiftskirche bis zum geplanten Zeitpunkt überhaupt fertig sei. Spannungen traten auch bezüglich der Frage der beteiligten Chöre auf. Denn von Seiten des Reutlinger Singkreises, der nicht am Bachfest beteiligt war, wurde Kritik an der Mitwirkung des Heilbronner Heinrich-Schütz-Chors unter Leitung von KMD Prof. Fritz Werner laut, denn dieser Reutlinger Singkreis hat im Jahre 1924 die Bachpflege in Württemberg eigentlich erst richtig und systematisch aufgenommen. Das Bachfest nutzte Grischkat auch, um sich in Stuttgart besser zu etablieren. In einem Brief an Oberkirchenrat Gottschick schlägt er vor, dass in der wiederaufgebauten Stiftskirche nicht immer der gleiche Chor am Karfreitag Passionen aufführen sollte; wolle er mit seinem Schwäbischen Singkreis die Matthäus-Passion hier aufführen. (Anm. 196)

Zum Bachfest selbst reisten 30 Personen aus Leipzig, dem Sitz der Neuen Bachgesellschaft an, was auf etwas Verwunderung ob der geringen Zahl bei den Organisatoren führte. Metzger regte daraufhin an, ein Schreiben an die Geschäftsstelle der NBG zu schicken, das der Enttäuschung über die nur 30köpfige Delegation Ausdruck verleiht. Nachdem Grischkat einen Brief an Prof. K. Thomas von der NBG geschrieben hatte, meinte dieser, man müsse schon froh sein, dass überhaupt 30 Personen ausreisen dürfen. Für diese Besucher wurde dann allerdings gut gesorgt. Die Firma Bosch unterstützte auf die Bitte von Metzger hin deren Aufenthalt mit DM 500,-.

Zwei Jahre später konnte Grischkat, der nun wieder zusammen mit Hans-Arnold Metzger und August Langenbeck den vorbereitenden Ausschuss bildete, das 13. Heinrich-Schütz-Fest der Neuen Schütz-Gesellschaft in Stuttgart vom 27. bis 31. Oktober 1960 durchführen. 20 Veranstaltungen waren zu betreuen, an erster Stelle die Aufführung der Marienvesper 1610 von Claudio Monteverdi in der Stuttgarter Liederhalle durch Hans Grischkat mit dem Schwäbischen Singkreis und dem Grischkat-Singkreis. Grischkat selbst war der Termin des Festes etwas zu früh gewählt. Seine Anregung, das Schützfest um ein oder zwei Jahre zu verschieben, wurde vom Präsidenten der Neuen Schütz-Gesellschaft, Karl Vötterle, jedoch nicht aufgenommen. Die Finanzierung stand nun auf besserer Grundlage als beim Bachfest. Ein Drittel sollte durch Einnahmen gedeckt werden, ein weiteres Drittel vom SDR, der Rest von der Stadt Stuttgart. Sowohl der Rundfunk als auch die Stadt hatten ihre Unterstützung zugesagt. Neben internationalen Solisten nahmen 14 Chöre am Schützfest teil. Es waren dies: der Südfunk-Chor (Dr. Hermann Josef Dahmen), der Süddeutsche Madrigalchor (Wolfgang Gönnenwein), der Schwäbische Singkreis und der Grischkat-Singkreis (KMD Prof. Hans Grischkat), der Stuttgarter Kammerchor (KMD Martin Hahn), der Stuttgarter Kantatenchor und der Stifts-Chor (Stiftskantor KMD August Langenbeck), der Dresdner Kreuzchor (Kreuzkantor Prof. Dr. Rudolf Mauersberger), der Oratorienverein Esslingen, die Evangelische Jugendkantorei Esslingen und der Chor der Kirchenmusikschule Esslingen (KMD Prof. Hans-Arnold Metzger), der Figuralchor der Gedächtniskirche (Helmuth Rilling), der Kammerchor der Niederländischen evangelischen Radio-Vereinigung (Marinus Voorberg) und die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben (KMD Gerhard Wilhelm).

Eine hochkarätige Besetzung also, die einige Probleme mit sich brachte. So war es den Mitgliedern des Dresdner Kreuzchors verboten, in Privatquartieren zu übernachten, wodurch die Spesen in die Höhe getrieben wurden. Doch beruhigte die Konzertagentur Abegg, über die dieses Engagement abgewickelt wurde, Grischkat, indem sie ihm mitteilte, dass ein eventuell durch diese Auflage entstehendes Defizit bis zu einer Höhe von DM 1.000,- von der Bundesregierung übernommen würde. Gleichzeitig machte sie Grischkat das Engagement des Kreuzchors schmackhaft, indem sie darauf hinwies, dass Mauersberger trotz seiner 71 Jahre noch sehr rüstig sei. Dass man trotz oder gerade wegen dieser großen Aufmachung die Gefahr einer Auswahl heraufbeschwor, berichtete pointiert-reflektierend Karl Heber in Unsere Singkreise . Er nannte die großen Musikfeste treffend "musikalische Parteitage", da jedes Fest ein eigenes Publikum, eine eigene Weltanschauung und Lebensauffassung hat.

Anmerkung 196
NL Grischkat Nr. 204, Brief Grischkats an Gottschick vom 18. 1. 1958.
KMD Martin Hahn hatte bisher das Privileg der Karfreitags-Konzerte in der Stiftskirche. 1960 sollte es Grischkat nicht gelingen, die Stiftskirche am Karfreitag für die Aufführung der Matthäus-Passion Bachs zu bekommen. Doch 1961, 1965 und 1976 konnte er sie an Karfreitag hier aufführen, dazwischen, in den Jahren 1968 und 1972, führte Grischkat die Johannes-Passion am Karfreitag in der Stiftskirche auf. Etwa alle vier Jahre bekam Grischkat also diesen Termin zugesprochen.

[Leitner S. 274 - 277 zahlreiche Anmerkungen]

Kantate "Vom Reiche Gottes"

Die Kantate hat folgenden Aufbau (dabei bedeutet E-Chor Einleitungschor und S-Choral Schlusschoral):

Nr.

Kantate

Satz

Art

Besetzung

1

146

1

Sinfonia

Orchester

2

146

2

Chor

Chor

X

188

3

Arie

Alt

3

87

5

Arioso

Bass

4

97

9

S-Choral

Chor

5

25

1

E-Chor

Chor

6

96

4

Rezitativ

Sopran

7

96

5

Arie

Bass

8

177

5

S-Choral

Chor

9

47

1

E-Chor

Chor

10

74

6

Arioso

Bass

11

174

4

Arie

Bass

12

77

1

E-Chor

Chor

- - - -

13

172

6

S-Choral

Chor

14

180

1

E-Chor

Chor

15

59

2

Rezitativ

Sopran

16

59

3

Choral

Chor

17

117

7

Arie

Alt

18

195

5

Chor

Chor

19

117

5

Rezitativ

Sopran

20

117

4

Choral

Chor

21

25

5

Arie

Sopran

22

76

1

E-Chor

Chor

23

137

5

S-Choral

Chor

Die Kantate ist in zwei Teile geteilt. Vorherrschend in der Großkantate sind (ganz wie Schweitzer es in seinem Bachbuch anregte) die Chöre. Die Chorpartien sind sehr umfangreich, da es sich bei allen Chören mit Ausnahme von Schmücke dich, o liebe Seele (Nr. 14) um große, umfangreiche und für Bachsche Verhältnisse meist schwere Chöre handelt. Die in Grischkats Handexemplar enthaltene Alt-Arie Unerforschlich ist die Weise , in der Auflistung mit X gekennzeichnet, trägt den Zusatz bleibt weg! . In den gedruckten Partituren ist dieser Satz nicht mehr enthalten. Das Handexemplar weist auch sonst noch einige Abweichungen auf: die ersten beiden Sätze aus Kantate 146 fehlen. Zu Nummer 2 hat Hans Grischkat kein Zitat, doch seiner Meinung nach ist dieser Chor einer der herrlichsten und tiefsten Bachschen Chöre.Die Kantate Vom Reiche Gottes wurde von der Kritik als Anthologie von Bachs Kirchenkantaten unter dem Titel Bach, wie ihn nur wenige kennen in der Zeitung Die Welt vom 5. März 1962 besprochen.

Um das Werk rechtfertigen zu können, sicherte sich Hans Grischkat die Unterstützung von vielen Bach-Forschern. Mit seinem Projekt des aus Einzelsätzen zusammengebauten Werkes, einhergehend mit einem logischen Gesamtbau der Kantate, stieß er auf wenig Widerspruch. Allgemein erhielt Grischkat Zuspruch und tatkräftige Unterstützung, wobei sich die theologische Geschlossenheit des Textes als wichtigster Diskussionspunkt herausstellen sollte. Unter Mitarbeit besonders von Prof. Adolf Köberle, Theologie-Professor in Tübingen, und Grischkats Freund, Pfarrer Rudolf Daur, gelang es Hans Grischkat, die Kantate auf einen theologischen Gedanken zu bringen. Die Textauswahl ist dabei so getroffen, dass der Text auch heute noch ansprechend ist (was bei den Bachschen Kantaten immer ein gewisses Problem darstellt). In einem undatierten Brief Köberles an Grischkat riet dieser ihm, die Kantate nun nicht mehr groß umzustellen. Lediglich die beiden Schlusssätze sollten geändert werden. Nachdem alles übrige aufgebaut ist auf Anfechtung der Seele, Schulderfahrung und Kampf des Glaubens im ersten Teil, und der zweite Teil die Christus- und Geisteinwohnung bringt, wirkt der Schöpfungsjubel am Schluss etwas überraschend. Albert Schweitzer, dem Grischkat ein Exemplar nach Lambarene geschickt hatte, zeigte sich ebenfalls angetan von dieser Kantate. Er schrieb 1958 zurück: Lieber Herr Professor! Vor mir liegt Ihr Brief vom 22. 4. 55 mit dem Klavierauszug der zusammengesetzten Kantate "Vom Reiche Gottes" mit der lieben Widmung. Meine arme Hand erlaubt mir nicht zu schreiben wie ich möchte. Aber einen Gruss und Dank sollen Sie doch von mir selber haben. Und die Gross-Kantate ist schön zusammengestellt. Ein wundervoller Text. Und dass Sie die Bezifferung mit gaben, ist schön. Mit besten Wünschen für Ihr Wirken in Stuttgart Herzlich Ihr Albert Schweitzer.

Das zunächst nur für die eigenen Singkreise gedachte Werk fand bei anderen Chorleitern so großen Zuspruch, dass Hans Grischkat Fremdaufführungen zuließ. Gerade zu größeren Festen wurde sie immer wieder musiziert, wie die im Nachlass erhaltenen Programme solcher Veranstaltungen zeigen. Doch neben den positiven Rückmeldungen, so der Ausstrahlung der Kantate am 10. Juni 1956 durch Radio Hilversum, fürchtete Grischkat auch eine teilweise Ablehnung. Er schloss dies aus der vier Jahre nach ihrer Entstehung immer noch nicht erfolgten Bekanntgabe in der Zeitschrift Musik und Kirche . Die Aufführungsmaterialien konnte man als Leihmaterial direkt von Hans Grischkat beziehen. Hans Grischkats Handexemplar diente dabei als Dirigierpartitur. Sehr starke Benutzungsspuren zeugen von einem häufigen Gebrauch dieser Noten. Auf den letzten Seiten der Dirigierpartitur vermerkten die Chorleiter ihre jeweiligen Aufführungen. Ende 1954 erschien dann ein von Hermann Keller erstellter Klavierauszug im Hänssler-Verlag, Ende 1955 lagen die Orchesterstimmen gedruckt vor. Erst 1965 verlegte der Hänssler-Verlag die Partitur der Kantate.

[Leitner S. 282 - 284 zahlreiche Anmerkungen]

Bachkantaten - Gesamtaufführung

Resümee

Hans Grischkat war nicht nur der fleißigste Arbeiter auf dem Gebiet der Jugendmusikbewegung in Württemberg, der es verstand, nachfolgende Generationen von seinen Idealen (zumindest im musikalischen Bereich) zu überzeugen, er war zugleich auch der letzte Künder dieser Gesinnung, der nach außen nicht nur durch seinen Schillerkragen seine Einstellung bekundete, sondern mit seinem Handeln diese Richtung vorlebte (dass er dabei nicht verbissen an allen Regeln festhielt - in den späteren Jahren trank der Antialkoholiker Grischkat hin und wieder auch gerne mal ein Gläschen - macht ihn um so sympathischer). Dennoch muss dieses Leben zu jedem Zeitpunkt verstanden werden auf dem Hintergrund von Hans Grischkats Prägung durch die Jugendmusikbewegung. In allen Bereichen seines Lebens durchdringt sie seine Handlungen und lässt einige Entscheidungen verständlicher werden.

Nicht vergessen werden darf die Rolle, die Hans Grischkat für den weiteren Fortgang der Musik im württembergischen Raum spielte. Er, der zeitlebens nur als Privatmann auftrat und handelte, bereitete mit seinen musikalischen Projekten in Stuttgart den Boden für die 1978, ein Jahr nach Grischkats Tod, institutionalisierte Internationale Bachakademie seines Schülers Helmuth Rilling. Bis heute setzt sie die von Hermann Keller (der 1967 82-jährig durch einen tragischen Verkehrsunfall starb") und Hans Grischkat begonnene Bach-Pflege fort, nun jedoch von der öffentlichen Hand gefördert. Über dem Lob für diese Akademie, das in der Presse (zurecht) einen entsprechenden Niederschlag findet, werden allerdings allzu leicht deren Wegbereiter vergessen.

Auch bleibt festzustellen, dass die Tätigkeiten und Funktionen, die Hans Grischkat in einer Person verkörperte, nach seinem Tod weitergeführt wurden, nun jedoch verteilt auf mehrere Schultern und ohne den inneren Antrieb, den Grischkat aus der Jugendmusikbewegung heraus hatte. Helmuth Rilling und Wolfgang Gönnenwein teilten sich die Aufgabenfelder, die von Grischkat alleine bewältigt worden waren und führten die große Arbeit weiter, die Hans Grischkat mit seiner Bach-Rezeption in Baden-Württemberg begonnen hatte. Umgesetzt wurde sie mit modernen Konzepten und einer zeitgemäßen Methodik auf einem Feld, das von Hans Grischkat bereitet worden war.

[Leitner S. 334 - 335 zahlreiche Anmerkungen]