1959 · Der Künstler und seine Zeit

04.10.1959 - Liederhalle Stuttgart

Festvortrag des Professor Dr. Hermann Keller
beim Festakt anläßlich des lojährigen Bestehens des Landesverbandes Baden-Württemberg Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer e.V. am 4. Oktober 1959 in der Stuttgarter Liederhalle

In Lessings Lustspiel Minna von Barnhelm gibt es eine Szene, in der Wachtmeister Just, der Bursche von Major Tellheim, seinem Herrn eine Rechnung präsentiert: "Was der Major mir schuldet", und, als Tellheim sie etwas unwillig durchgesehen hat, eine andere bereit hält: "Was ich dem Herrn Major schulde".

Ich glaube, das Thema, das ich mir gestellt habe, lässt sich ebenso von diesen zwei Seiten anpacken: "Was schuldet die Zeit dem Künstler"? Und dann die Gegenfrage: "Was schuldet er ihr?"

Stellen wir zuerst die Vorfrage: wer darf sich Künstler nennen? Nach unserer Auffassung nicht nur der Komponist und der konzertierende Solist, sondern auch der seiner Verantwortung bewußte Musiklehrer. Nicht nur, wer eine Sonate komponiert, und wer sie spielt, sondern auch, wer sie lehrt, sie zu spielen, ist Künstler. Er ist kein Gewerbetreibender, der seine Musik verkauft wie der Bäcker Brötchen, sondern er ist Musikerzieher. Auch der Musiklehrer, der sein oft kümmerliches Brot mit Musikstunden an schulisch überlasteten Kindern verdienen muß, ist mehr als ein Gewerbetreibender, - er steht auf den untersten Stufen einer Pyramide, die ohne seine oft entsagungsvolle Arbeit zusammenbrechen würde.

Der Künstler in seiner Zeit? Ist es denn wirklich seine Zeit? Oder war das nur früher so? Alle alten Hochkulturen leben ja heute nur noch in ihrer Kunst weiter. Wie bedeutungslos sind, säkular gesehen, die Siege Napoleons gegenüber den Symphonien von Beethoven! Freilich, ein Künstler unserer Zeit, Hans Pfitzner, hat vor einer Überschätzung der Kunst gewarnt:

Das Höchste in der Kunst, vor Gott besagt's nicht viel,
hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel.

Hat sie es wirklich? Wir wissen es nicht, und jedenfalls kennen wir es nicht. Dann zeichnet auch heute die Kunst das wirkliche Gesicht der Zeit, das erst spätere Generationen klar sehen werden? Wo steht die Musik heute? Eine Frage, die niemand beantworten kann. Einer der besten Kenner der neuen Musik hat als zwei ihrer Hauptmerkmale angegeben: 1) sie will eine Schockwirkung ausüben, 2) der Intellekt ist in ihr stärker vertreten als früher. Ich glaube nicht, daß eine Kunst davon leben könnte. Schockwirkungen: wir haben sie erlebt, - aber wie schnell nützten sie sich ab; was dann bleibt, ist nur Langeweile und tout genre est bon, excepte le genre ennuyeux (Voltaire). Und der Intellekt spielt zwar in jedem musikalischen Kunstwerk eine bedeutende Rolle, aber keine führende, - eine Kunst, die das versucht, wird eintrocknen, die Musik wird dann für den Hörer ein "wissenschaftlicher Genuß". Vielleicht ist das der Grund, warum Vorführungen moderner Musik auf so geringes Interesse stossen, während Ausstellungen moderner Kunst von den Gebildeten oft unter Opfern besucht werden und größtes Interesse finden? Wenn heute schon für Manche die Atonalität ein überwundener Standpunkt ist, und mit elektrischen Generatoren neue, noch nie gehörte Klänge erzeugt werden, so sehen wir Älteren diesen Experimenten mit brennendem Interesse zu, aber wir bleiben kritisch. Und das ist die Haltung, die heute am wenigsten gewünscht und geschätzt wird. Es gibt nur Ja-Sager und Nein-Sager und eine große Gruppe passiv Abwartender. Neulich sagte ein Musiker: "Seit 40 Jahren marschiert die Avantguarde, - wo sind die Truppen?" Die Truppen sind da, sie entscheiden die Schlacht, aber man spricht nicht von ihnen. Ich will erklären, wie ich das meine. Vor 2 Jahren wurde hier in der Liederhalle Hermann Hesse bei seinem 80. Geburtstag gefeiert, uns es wurde ihm eine Ehrengabe überreicht, über die er nach seinem Belieben verfügen durfte. Er sagte, er bestimme sie nicht für die junge Generation, die sich von selbst durchsetze, sondern für die heute im Schatten stehenden älteren Dichter und Schriftsteller, die es schwerer haben als die Jugend. In der Musik ist es, glaube ich, ebenso. Wir haben darum in unserem gestrigen Kammermusik-Abend nicht die Jüngsten zu Wort kommen lassen, wir wollten keine Kopie von Donaueschingen versuchen (wozu auch unsere Mittel gar nicht ausgereicht hätten), - sondern wir wollten auf Musik aufmerksam machen, die der Hausmusik noch nahesteht, oder sogar zu ihr gezählt werden kann. Die Gefahr ist groß, daß unser Musikleben völlig auseinander gerissen wird: die elektronischen Komponisten, die Seriellen, die "schlichten" Zwölftonkomponisten, die gemässigt Atonalen, die gar nicht Atonalen, die traditionsgebundenen Musiker, die gebildeten musikalischen Laien, die von der Klassik und Romantik leben, die Liebhaber alter Musik und alter Instrumente, die Dilettanten, die Männerchöre, die Jazz-Fans, die Akkordeon-Spieler, die mit Schlagern aufwachsende Jugend, - ja hat es denn jemals eine solche Vielfalt gegeben? Ich setze weder positive noch negative Vorzeichen, aber besteht nicht die Gefahr einer babylonischen Sprachverwirrung? Und die Folge ist dann, daß jeder sich abkapselt, in seinem selbstgewählten Gebiet glücklich ist, vom Andern nichts wissen will. Sind wir nicht selbst auch so? Was hat es denn zu sagen, wenn ein Teil unserer Jugend seine überschüssigen emotionalen Kräfte im Jazz abreagiert? Die ernste Musik gerät ebenso wenig in Gefahr wie die Moral durch einen Boogie-Woogie und Rock'n Roll. Ich will nicht vom Verlust der Mitte reden - dieses Schlagwort ist zu sehr abgegriffen -, aber die Mitte zwischen Volksmusik und einer überspitzten Kunstmusik, das ist das Gebiet, dessen Pflege uns - nicht ausschliesslich, aber vor allem - am Herzen liegt. Jeder Einsichtige weiss, daß diese Verbindung abzureissen droht; wenn das geschehen würde, dann würde der Baum der deutschen Musik mit seinen weit ausladenden Ästen allmählich verdorren. Ein Musikleben, wie es außer unserem Land noch Österreich, die Schweiz aufweist, mit guter Hausmusik, mit Kammermusik, Singkreisen, Chören, die Altes und Neuestes singen, einem durchgebildeten Konzertleben, das legt uns die Verpflichtung auf, dieses Erbe zu bewahren. In der Meinung der Welt steht unsere Literatur unter der angelsächsischen, unsere Malerei unter der französischen, - aber Komponisten wie Bach, Mozart, Beethoven und viele Andere hat kein anderes Land aufzuweisen.

In der Bewahrung dieses Erbes fühlt sich der Musiker heute vielfach durch die Zeit bedroht. Wir leben in einer technisch hoch perfektionierten und bis ins Letzte durchorganisierten Welt. Musik ist aber etwas ganz Persönliches, Menschliches, ein Auffangen der feinsten seelischen Schwingungen. Ist es da ein Wunder, wenn sich viele Musiker durch die ungeheure Entwicklung und Verbreitung der mechanischen Musikübertragung bedroht fühlen? Ich spreche nicht von der Pest der Musik-Boxen, sondern von Rundfunk und Schallplatte. Sie greifen auch in die materielle Existenz des Musikers ein. Um die Sicherstellung der Rechte der ausübenden Musiker bei der Wiedergabe ihrer Leistungen auf mechanischem Wege wird seit Jahren heftig gekämpft; es handelt sich da um Millionenbeträge, die den Künstlern zufliessen sollten, und diese Forderung, die sie an die Zeit stellen, wird ihnen nicht versagt werden können. Ist nicht auch der Rundfunk für die Abnahme des privaten Musikunterrichts verantwortlich, ist es nicht besser, ein Werk fast vollkommen zu hören, als es selbst recht unvollkommen zu spielen? Das stimmt bis zu einem gewissen Grad, aber was der Rundfunk mit der einen Hand nimmt, gibt er mit der andern wieder; er erfasst einen so großen Hörerkreis, daß sich aus ihm schon wieder eine neue Schicht von Musikliebhabern gebildet hat, die mit dem Hören allein nicht zufrieden sind. Aber diese Schichten sind anspruchsvoller als früher: die klavierspielende höhere Tochter die das - Gebet einer Jungfrau nachbetet - ist ausgestorben - Gottseidank.

So sind also die Aussichten eines Musiklehrers heute, was das Material seiner Schüler betrifft, nicht schlechter, eher besser als früher. Aber findet ein Musiklehrer auch sein Auskommen wie früher? Diese Frage muß leider verneint werden. Im Verhältnis zu andern Berufen ist der Privatmusiklehrer immer noch so schlecht honoriert, daß ein junger Mensch, der davon leben und eine Familie gründen will, das kaum noch wagen kann, eher geht es bei Mädchen, die, wenn sie nicht heiraten, in der Familie bleiben, dort unterrichten, und sich so ein ansehnliches Taschengeld verdienen. Aber ist das zu vertreten, daß heute noch viele Musiklehrer und -lehrerinnen ihren Unterricht zu einem Satz geben müssen, der knapp dem Gesellenlohn eines Handwerkes entspricht? Hier möchte der Verband seinen Mitgliedern helfen, indem er ihnen empfiehlt, nicht unter einem gewissen Mindesthonorar, sagen wir beispielsweise von 5 DM die Stunde, zu unterrichten. Das dürfen wir aber nicht, denn wir verstossen mit einer solchen Empfehlung gegen das Kartellgesetz! Wenn also 2 Klavierlehrerinnen in irgend einer kleinen Stadt eine solche Absprache treffen, dann machen sie sich strafbar, sie fallen unter ein Gesetz, das sich in Industrie und Wirtschaft sicherlich segensreich auswirkt; daß es auch auf unsre armen Musiklehrer ausgedehnt wird, - das begreift mein Laienverstand nicht. Ich wiederhole: wir sind keine Gewerbetreibenden, sondern Kunsterzieher!

Wenn uns schon solche Empfehlungen verboten sind, so könnte unserem Stand doch eine Stütze geboten werden, wenn die Erteilung von privatem Musikunterricht an die Ablegung einer Prüfung gebunden wäre. Bekanntlich hat aber nur Südbaden ein solches Gesetz erlassen, und daß es nicht auf Baden-Württemberg ausgedehnt werden wird, haben Sie, Herr Kultminister in einer Antwort auf eine Anfrage im Landtag neulich bekannt gegeben. So ist also auch dieses Ziel, für das wir jahrelang gekämpft haben, in nebelhafte Ferne gerückt. Das ist für viele von uns schmerzlich. Freilich, wenn man bedenkt, daß in der Bundesrepublik Abend für Abend Hunderte von Schundfilmen gegeben werden, von denen ein Teil nachweislich die Jugendkriminalität erhöht, und wenn man sieht, wie der Geschmack des Publikums durch Bildzeitungen und Illustrierte systematisch immer weiter heruntergezogen wird, ohne daß man dagegen einschreiten kann, dann ist der Schaden, der entsteht, wenn eine törichte Mutter ihrem Kind einen schlechten Musikunterricht geben läßt, wirklich gering zu nennen. (Abgesehen davon, daß es ja auch vorkommen kann, daß ein geprüfter Lehrer schlechten Unterricht gibt!) Ihre Ankündigung, Herr Minister, eine freiwillig abzulegende Prüfung einzuführen, scheint auch uns im gegenwärtigen Augenblick die beste Lösung zu sein. Baden hat sie schon, Württemberg wird sie hoffentlich bald bekommen, und unser Verband wird dabei gerne jede gewünschte Hilfe und Mitwirkung geben.

Vor 50 Jahren gab es viele private Konservatorien. Sie sind fast alle eingegangen, - dafür gibt es heute Jugendmusikschulen, die auch solche Schichten erfassen, denen früher ein privater Musikunterricht unerschwinglich gewesen wäre, und die vor allem die Grundlagen des Musikunterrichts breiter ziehen, als dies dem Privatmusiklehrer möglich ist. Wir begrüßen daher diese Einrichtung, legen aber doch Wert darauf, die Grenzen zwischen beiden Einflussgebieten so reinlich wie möglich zu ziehen, und daher hat unser Verband mit der Arbeitsgemeinschaft Süddeutscher Jugendmusikschulen ein Abkommen getroffen, das, wenn es von beiden Seiten eingehalten wird, Spannungen verhindern und eine fruchtbare Zusammenarbeit, auf die wir großen Wert legen, garantieren wird.

So haben wir Musiker und Musikerzieher eine Anzahl von Fragen und Anliegen, die unser Verhältnis zur Allgemeinheit betreffen, und nun wollen wir die Frage umkehren und fragen, was schulden wir der Allgemeinheit? Was verlangt sie von uns?

Da ist zunächst zu sagen, daß in unserem technisch so unwahrscheinlich hoch entwickelten Zeitalter auch die rein technischen Ansprüche an den Musiker und Musikerzieher gewaltig gestiegen sind. Die Zeiten sind endgültig vorbei, da es vorkommen konnte, daß die Klavierlehrerin auf dem Sofa sass, ihren Kaffee trank und dann bloß zu sagen brauchte; "So, - das nächste Mal dann etwas schneller und mit Pedal, und den 2. Satz kannst du schon mal anfangen". Nicht nur der Lehrer selbst muss technisch mehr können, er muss auch einen weiteren Horizont und eine umfassendere Bildung haben als früher. Und: eine Stunde Musikunterricht zu geben, ist anstrengender als 1 Stunde wissenschaftliches Unterrichts.

Alles ist im Fluß, daher möge niemand glauben, das, was er auf der Hochschule gelernt habe, reiche ihm für's Leben und er brauche das nur noch in kleiner Münze auszugeben. Ich habe als Lehrer auf der Hochschule meine früheren Schüler in die zwei Kategorien eingeteilt: in solche, die bei der Prüfung den Höhepunkt ihres Könnens erklommen hatten, und dann langsam aber sicher absanken, und solche, für die die abgelegte Prüfung nur ein Durchgangspunkt nach oben war. Hier hat unser Verband eine wichtige Aufgabe, indem er alljährlich seine Fortbildungskurse auf der Comburg oder in der Akademie Calw veranstaltet, für die in diesem Jahr mehr Anmeldungen da sind als jemals.

Auch der Frage der Wettbewerbe stehen wir positiv gegenüber. Manche fürchten, die Kunst werde dadurch auf das Niveau des Sports herabgezogen, - aber der Wetteifer ist eine gesunde, positive Kraft, und wir veranstalten daher alljährlich einen Jugendwettbewerb, abwechselnd für Klavier und für andere Instrumente. Auch hier ist die Beteiligung stark und die Resonanz in der Öffentlichkeit erfreulich groß.

Damit bin ich schon bei der 3. Frage angelangt, die man stellen kann: Was darf die Allgemeinheit und besonders was dürfen unsere Mitglieder von unserem Verband erwarten, und was erwartet er von ihnen? Hier rede ich in eigener Sache und muss mich daher auf die notwendigsten sachlichen Daten beschränken. Vorläufer unseres Verbandes waren der von Max Pauer gegründete Stuttgarter Tonkünstlerverein und der von Berlin aus gebildete Reichsverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer. Heute haben die Landesverbände volle Selbständigkeit, und unter den zehn Landesverbänden der Bundesrepublik ist der unsere mit nahezu 1400 Mitgliedern der größte - freilich sind noch nicht alle bei uns, die in unsere Reihen gehören, aber wir sind doch so stark, daß wir den Anspruch erheben können, die Standesvertretung der Tonkünstler und Musiklehrer zu sein. Wir stehen in gutnachbarlichen Beziehungen zum Deutschen Musikerverband, der vor allem die Rechte der tarifmässig entlohnten Musiker wahrnimmt, auf die das Verhältnis von Arbeitnehmer zum Arbeitgeber zutrifft, während es unsere Aufgabe ist, die freistehenden Tonkünstler und Musiklehrer zu betreuen, die als eine zahlenmässig kleine, aber kulturell wichtige Gruppe sonst in Gefahr käme, zwischen den großen Wirtschaftsverbänden zerrieben zu werden. Die Komponisten, die ev. und kath. Kirchenmusiker und ebenso die Schulmusiker haben ihre eigenen Standesvertretungen, aber deren Interessen decken sich doch vielfach mit den unsrigen, und so haben wir eine Reihe von Doppelmitgliedschaften. Insbesondere ist es unser Anliegen, die Beziehungen zwischen dem Privatmusiklehrer und den Schulmusikern immer enger zu gestalten, zum Wohle beider, aber besonders des Privatmusiklehrers, denn die Zeit ist nicht mehr allzufern, da auch an den Schulen Instrumentalunterricht gegeben werden wird; Wenn aber Schule, Jugendmusikschule und Privatmusiklehrer verständnisvoll und vertrauensvoll zusammen arbeiten, dann braucht man um die Zukunft unserer Musik keine Angst zu haben.

Daß wir unseren Mitgliedern Rechtsschutz, besonders in Mietangelegenheiten geben, wo die Musiker und Musiklehrer oft empörend behandelt werden, auch Versicherungsschutz und Steuerberatung, das ist selbstverständlich. Besonders erwähnen darf ich aber, daß wir dank der Sparsamkeit und klugen Finanzpolitik unseres Geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes mit dem heutigen Tage ein großzügiges Sozialwerk ins Leben rufen konnten, mit dem wir in Not geratene, alte und kranke Mitglieder unterstützen können. Auch hierin setzen wir die Tradition des alten Reichsverbandes fort. Das Landeswohlfahrtswerk für Baden-Württemberg unterstützt uns dabei in grosszügiger Weise, und ich darf auch an dieser Stelle hier unseren Dank aussprechen.

Wir sind nicht nur ein Musiklehrer, sondern auch ein Tonkünstler-Verband. Als solcher haben wir mehrere Jahre lang Einführungsabende für neue Musik für unsere Mitglieder gegeben, und seit zwei Jahren veranstalten wir jährlich an 4 - 6 Abenden Konzerte, zum Teil mit einführenden Vorträgen, ebenfalls nur für unsere Mitglieder, in denen Musik, die bei der derzeitigen Struktur unseres Konzertlebens nicht oder nur selten zu hören ist, zur Aufführung kommt.

Auch unsere Musikbücherei, die Noten jeder Art und Musikbücher enthält, die nach auswärts frei verschickt werden, darf ich hier erwähnen. Manche klagen, sie hätten keine Zeit zum Lesen. Ihnen darf man das legendäre Wort von Schopenhauer entgegenhalten: Um das Gute zu lesen, gibt es nur ein Mittel, nämlich das Schiechte nicht zu lesen.

Und was erwarten wir von unseren Mitgliedern? Nun, daß sie zu uns halten, unsere Veranstaltungen besuchen, daß sie im Kollegen oder in der Kollegin nicht nur den Konkurrenten, sondern den Mitstrebenden sehen, daß sie solche Kollegen, die noch beiseite stehen, uns zuführen, - das ist ja alles selbstverständlich, und im allgemeinen dürfen wir unseren Mitgliedern ein gutes Zeugnis ausstellen.

Was uns fehlt, ist ein räumliches Zentrum im sichtbaren Mittelpunkt unserer Arbeit, wie das andere Kunstverbände bereits besitzen. Wir wollen nicht unbescheiden sein, - aber vielleicht ist bei den geplanten kulturellen Neueinrichtungen doch auch ein Raum für uns übrig? Das wäre uns eine große Freude. -

So ist es eine Fülle der verschiedensten Aufgaben, die vor uns stehen, und wenn wir sie alle anpacken und bewältigen wollen, dann reicht unsere eigene Kraft nicht aus. Wir dürfen aber dankbar feststellen, daß wir fast nie umsonst an eine Türe geklopft haben, und daß uns von den staatlichen und städtischen Behörden, vom Süddeutschen Rundfunk, von der Südwestdeutschen Konzertdirektion, von der Musikindustrie und von einer Reihe privater Gönner in grosszügiger Weise Hilfe gewährt worden ist, wenn wir sie nötig hatten. Was wir irgend konnten, haben wir aus eigener Kraft durchgeführt. Zu danken haben wir vor allem auch den Kollegen, die sich für die beiden Konzertveranstaltungen gestern und heute in selbstloser Weise zur Verfügung gestellt haben, ebenso den Künstlern und Vortragenden unserer Konzerte und Einführungsabende. Auch den Vertrauensleuten, die sich in den Kreisen von Baden-Württemberg für uns und unsere Sache eingesetzt haben und noch einsetzen, sei herzlicher Dank gesagt.

Der Künstler in seiner Zeit: das Bild, das ich zu entwerfen versuchte, zeigt in einem zwar kleinen Ausschnitt doch noch ein Bild des kulturellen Lebens unserer Zeit, bei dem beide Teile zugleich Gebende und Nehmende sind. So dürfen wir dankbar auf die ersten zehn Jahre zurückblicken; wir sehen neue Aufgaben, die auf uns zukommen, wir wollen sie anpacken, und nicht stehen bleiben. Wir wollen uns des Erbes würdig erweisen, eines Erbes, das uns anvertraut worden ist, um es zu bewahren und zu mehren.

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