Zu Ehren Johann Sebastian Bachs (B - A - C - H)

Süddeutscher Rundfunk, 25.03.1964

Die vier Buchstaben, die zusammen den Namen Bach bilden, haben seit 200 Jahren eine immer größere Anziehungskraft auf die Musiker ausgeübt, unzählige Male sind sie zitiert worden, einer ganzen Anzahl von Kompositionen lagen sie als Thema zugrunde. Sie schienen in äußerster Verdichtung das auszusprechen, was uns allen der Name Johann Sebastian Bach bedeutet; sie treten daher erst in einer Zeit auf, in der man sich der Bedeutung dieses Namens immer mehr bewußt wurde; daß auch der Name dieses Meisters selbst schon Musik war, schien eine fast geheimnisvolle Bedeutung zu haben. Natürlich konnten diese vier so nahe beieinander liegenden Noten auch ohne Beziehung zu dem Namen Bach vorkommen, so etwa in einer "Fantasia" des niederländischen Orgelmeisters Jan Pietersson Sweelinck, aber das ist ein Zufall. Auch kam vor dem Thomaskantor kein Mitglied der so weit verzweigten Musiker-Familie Bach auf den Gedanken, die vier Noten einer Komposition als Motto voranzusetzen; diese Thüringer Kleinmeister legten ihrem Namen wohl keine allzugroße Bedeutung bei, - oder hätte sie vielleicht die Chromatik, die eine Harmonisierung der vier Noten B - A - C - H nahe legte, zurückgehalten? Merkwürdig ist es, daß auch Johann Sebastian selbst in seinem musikalischen Lebenswerk an keiner Stelle diese vier Noten zum Thema einer Komposition genommen hat. Eine Andeutung davon kann man in einer Jugendarbeit erkennen, dem "Musikalischen Labyrinth", dessen Echtheit aber nicht sicher verbürgt ist. Umso stärker fällt ins Gewicht, daß Bach in seinem allerletzten, unvollendet gebliebenen Werk, in der "Kunst der Fuge", und zwar im letzten Stück die Tonschritte seines Namens als Fugenthema verwandt hatte.

Es ist der "contrapunctus XIX" (wie Bach die einzelnen Fugen und Kanons dieses Kompendiums seiner kontrapunktischen Kunst zusammenfassend bezeichnete); bekanntlich ist das ganze Werk über ein einziges Thema aufgebaut, das rhythmisch und melodisch auf mannigfaltige Weise variiert wird. So ist auch im letzten Stück das Hauptthema eine Variation des Grundthemas; ein zweites, bewegtes Thema tritt dazu, nach ihm ein drittes über die Noten B - A - C - H. Es war also eine Tripelfuge beabsichtigt, aber Bach kam nicht mehr dazu, sie auszuführen: die Durchführung des 3. Themas allein konnte er noch ausarbeiten und die Vereinigung der drei Themen skizzieren, aber dann bricht die Handschrift ab, - der Tod beendete das Schaffen des fast erblindeten Meisters. Mit dieser letzten Ausarbeitung eines Fugen-Abschnitts über B - A - C - H wollte Bach wohl seine Unterschrift unter sein ganzes reiches Lebenswerk setzen, ganz bescheiden, so wie ein mittelalterlicher Künstler bei einem mehrteiligen Altarbild seinen Namen ganz klein in die untere Ecke setzte. Daß er dieses Zitat, das er nie vorher verwendet hatte, obwohl es so nahe lag, nun in seinen letzten Lebensstunden noch als Unterschrift nahm, muß für ihn eine tiefe Bedeutung gehabt haben. Philipp Emanuel, der nach dem Tode des Vaters das Werk in Kupfer gestochen herausgab (und damit einen beschämend geringen Absatz fand), schrieb die Bemerkung dazu: "Über dieser Fuge, wo der Name B-A-C-H im Contrasubject angebracht worden ist, ist der Verfasser gestorben". Um dem Torso einen Abschluß zu geben, fügte er pietätvoll den Choral "Vor deinen Thron tret ich hiemit" als Schluß hinzu und in dieser Fassung erklingt das Werk seit seiner Wiedererschließung in vielen Aufführungen.

Es hat freilich auch einige mutige Versuche gegeben, die letzte Fuge zu vollenden, aber ist dieses plötzliche Abbrechen nicht viel ergreifender? Wir stehen gleichsam am Sterbebett des Meisters, der nun "vor Gottes Thron zu treten" sich anschickt.

Bach starb im Juli 1750. In der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts folgten die Schüler dem Meister nach, in dem sie dieses Thema aufgriffen. Eine ihrer Kompositionen - "Präludium und Fuge über den Namen Bach" - galt sogar lange Zeit als eine Komposition des Meisters selbst, ist aber wohl das Werk eines norddeutschen Komponisten der Bachschule. Wir können es übergehen, ebenso eine flüchtige Klavierfuge von Johann Christian Bach, dem sogenannten Londoner Bach, dem jüngsten Sohn Sebastians (die älteren Söhne Friedemann und Philipp Emanuel haben übrigens das Thema nicht bearbeitet); auch die Arbeiten von Theoretikern wie Albrechtsberger und Alexander Klengel mögen übergangen werden. Erst die Romantik huldigte wieder Bach, den sie als frommen, altdeutschen Meister verehrte. Schumann, der deutscheste aller Romantiker, setzte dem großen Thomaskantor ein musikalisches Denkmal, indem er sechs Fugen über den Namen Bach verfaßte. Sie sind für Orgel geschrieben - denn man sah in der Romantik Bach vor allem als den Orgelmeister, man erkannte noch nicht seine Universalität -, aber diese Fugen sind mehr vom Geist des Klaviers als von dem der Orgel inspiriert. In jeder der sechs Fugen faßt er das Thema von einer andern Seite auf.

Nur wenige Jahre nach Schumann trat Franz Liszt mit einer Fantasie und Fuge über BACH auf den Plan. Auch er wählt wie Schumann die Orgel, behandelt sie aber mit der Freiheit des großen Klaviervirtuosen. Er gewinnt dem Instrument neue Seiten ab, behandelt es fast impressionistisch, mit Virtuosität und Farbenreichtum. Es ist "brillant" im guten und schlechten Sinn, über manche schwache Stelle der Komposition muß uns der Schwung und die Begeisterung des Komponisten hinwegtragen. Er springt ganz anders mit den vier Noten um als der sanfte Schumann; Er legt sie gleich zu Anfang seiner Fantasie als Basso ostinato ins Pedal, fantasiert dann über sie in gebrochenen verminderten Septakkorden und reiht sie in mächtigen Klangblöcken aneinander. Kurzum, er faßt das Thema von Anfang an als weites Feld chromatischer Harmoniefolgen auf. Kurz vor Schluß der Fuge, in der letzten Steigerung des Werkes, wird das ff der Orgel von einer pp-Episode unterbrochen. Hierin erscheint nochmals das Thema in einer fast mystischen Beleuchtung, ehe die Schlußakkorde es mächtig übertönen. Liszts Fantasie und Fuge über das Thema B-A-C-H ist eine Komposition voller Schwung und Feuer, aber ohne Tiefgang, sie ist den bravourösen Klavierfantasien des Komponisten vergleichbar. -

Sowohl Schumanns als auch Liszts Vertonungen sind um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Danach scheint das Interesse der Musiker, den Namen Bach in Musik zu setzen, schwächer geworden zu sein. Erst am Ende des Jahrhunderts gab der junge Max Reger seiner tiefen Verehrung für Bach einen würdigen Ausdruck in seiner großen Fantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46, für Orgel. Das ist von allen Vertonungen des bekannten Motivs im 19. Jahrhundert die bedeutendste und ihres Gegenstandes würdigste. Reger hatte schon eine Reihe großer epochemachender Orgelwerke geschrieben, bevor er die B-A-C-H-Fantasie komponierte, in der man die Krönung seines Orgelschaffens erblicken kann. Reger war der Orgel gegenüber kein Fremdling wie Schumann und Liszt, sondern mit ihren Ausdrucksmitteln, die er bis an die Grenzen des Möglichen erweiterte, tief vertraut.

Es war nicht die Orgel Bachs, für die er schrieb, sondern die mit allen Finessen einer differenzierten Registrierkunst ausgestattete Konzertorgel des späten 19. Jahrhunderts, in der die Möglichkeit lag, die Starrheit des Orgelklangs aufzuheben, die Orgel an Klangfarben und Klangreichtum dem Orchester gleich zu stellen, ihr alle Möglichkeiten der Übergänge und Nuancierungen zu geben, die ihrem Wesen eigentlich fremd sind. Ein Typ, den wir seit einigen Jahrzehnten aufgegeben haben und mit Recht ablehnen, - aber er gehört zu Reger und der außerordentlichen Differenziertheit seines Stils. Reger hat das Werk in seiner Sturm- und Drangzeit geschrieben; die Widmung an Rheinberger, "Herrn Geheimrat Prof. Dr. Josef Rheinberger in besonderer Verehrung gewidmet", ist wohl eher ironisch aufzufassen.

Die kühnen Harmonien, mit denen Liszt schloß, überbietet Reger noch bei weitem: In den gewaltigen Harmonien, mit denen die Fantasie beginnt, faßt er die Noten b und a im Sinne von b-moll auf, c als c-moll, h als Quinte von E-dur! Das ist aber nur eine von unzähligen Harmonisierungen der vier Noten, die Reger als Figurationsmotiv, als Endpunkt rasender Läufe oder als Ausgangspunkt aufwärts schiebender Sequenzen benützt.

Regers Fuge, die dieser genialen Fantasie folgt, hat es schwer, auf dieser Höhe zu bleiben. Es ist eine Doppelfuge, die im pp beginnt, sich lange Zeit im Ausdruck und in der Dynamik zurückhält, ein zweites figurierendes Thema einführt, und ganz allmählich sich in einer lang anhaltenden Steigerung zur Höhe der Fantasie erhebt. In der Coda greift Reger auf den Anfang der Fantasie zurück und verbindet diesen mit dem zweiten Thema der Fuge, worauf eine aufwärts stürmende Sequenz zum imposanten Schluß des ganzen Werkes hinleitet.

Nach Reger haben in unserem Jahrhundert immer mehr Komponisten sich an diesem Thema versucht, dem sie immer wieder neue Seiten abgewonnen haben. Wir nennen nur einige: den Berliner Orgelmeister Josef Ahrens, der ein Triptychon über B-A-C-H verfaßt hat, den verstorbenen Leiter der Berliner Singakademie, Georg Schumann, der eine Passacaglia darüber geschrieben hat; Wolfgang Fortner und Arnold Schönberg haben das Thema als Zitat benutzt, ebenso Paul Hindemith in seinem Konzert für Holzbläser, Harfe und Orchester. Auch außerhalb Deutschlands sind Kompositionen darüber geschrieben worden; so von Wilhelm Middelschulte in Chicago, der eine kanonische Fantasie über B-A-C-H schrieb, und auch aus unserem Nachbarland Frankreich stammen zwei interessante Kompositionen über das B-A-C-H-Thema. Damit wurde das Vorurteil entkräftet, wonach nur die Orgel allein das geeignete Instrument sei, diese vier Noten zu paraphrasieren; Albert Roussel schrieb 1932 als "Hommage à Bach" ein Präludium und Fuge für Klavier; zur gleichen Zeit übrigens, und zwar unabhängig von ihm, komponierte Arthur Honegger ein "Prélude, Arioso et Fughette" auf den Namen Bach, in zwei Fassungen, sowohl für Klavier als auch für Streichorchester. In ebenso modernem Gewand erscheint das B-A-C-H-Thema bei Arthur Honegger.

Quelle:
Süddeutscher Rundfunk, 25. 3.1964